알아서 남주자/relax 2004. 12. 24. 18:33
 

Goethe " ...einfach klassisch"

Der Schulbuchverlag Cornelsen hat literarische Texte für den Unterricht vereinfacht - und entstellt

von Wieland Freund

Mit der Lesefähigkeit deutscher Schüler steht es nicht zum Besten. Doch wer nun glaubt, alle am Bildungsprozess Beteiligten mühten sich, das Versäumte nachzuholen, für den hält der Berliner Schulbuchverlag Cornelsen eine Überraschung bereit. Wundern darf man sich über die 2003 begonnene Reihe "... einfach klassisch". Erschienen in dieser Reihe sind bislang Goethes "Götz von Berlichingen", Schillers "Wilhelm Tell", Droste-Hülshoffs "Die Judenbuche", Kellers "Kleider machen Leute" und Storms "Der Schimmelreiter".

Man wird die Texte jedoch nicht ohne weiteres wieder erkennen. Sie sind nicht nur orthografisch modernisiert, mit "Info"-Kästen, Bildern und Fußnoten versehen sowie gekürzt, sondern zudem, so der Verlag diplomatisch, in "Wortschatz und Satzbau behutsam dem modernen Deutsch angepasst". Anders gesagt: der Bearbeiter aller fünf Texte, Diethard Lübke, hat die Klassiker umgeschrieben.

Was in diesen alten Texten fremd anmutet, ist, so gut es geht, eliminiert. So fehlt der Eingangsgesang des "Tell" ganz, so wird im Falle der "Judenbuche" aus "Umgegend" "Umgebung". Rechtlich ist dagegen nicht vorzugehen. Kein Gesetz schützt Klassiker vor Bearbeitung, doch seit geraumer Zeit laufen Pädagogen gegen die Cornelsen-Reihe Sturm.

Es könne, so Fitz Tangermann vom Germanistenverband, nicht Sinn von ästhetischer Erziehung sein, die spezifischen Elemente eines Textes verschwinden zu lassen. Tatsächlich reagiert der Cornelsen Verlag auf einen Trend: die Ausbreitung der so genannten Schnipseldidaktik nämlich, die die Behandlung diverser Textauszüge der Lektüre einer Ganzschrift vorzieht. Die Schnipseldidaktik, so Georg Behütuns, Gymnasialdirektor und Vorsitzender des bayerischen Fachverbandes Deutsch, habe mittlerweile ein Ausmaß erreicht, das bedenklich stimme. Ein Sammelband zum Thema "Drama: Wissenschaft und Verantwortung" beispielsweise bietet ein bisschen Goethe, Büchner oder Dürrenmatt im Stile eines Videoclips. Die neue Cornelsen-Reihe fügt sich da ins Bild: Sie präsentiert historische Texte "light".

Man kann darüber wütend werden: "Nein, nein, nein! So nicht!", heißt es in einem Leserbrief, "Form und Inhalt eines Werkes gehören zusammen, sie sind untrennbar durch die Sprache miteinander verbunden." Schlichter drückt es Eckart Oehlenschläger aus, als Kustos für die Organisation des Grundstudiums am Germanistischen Seminar der Universität Bonn verantwortlich: "Angebote zur Bequemlichkeit machen den Kopf simpel und dumpf." Er plädiert für die Lektüre der Originale, denn für die Schule und erst recht für die Universität "wäre es verderblich, den niedrigsten Level der Anforderungen institutionell zu verankern." Bereits seit zwanzig Jahren beobachtet Oehlenschläger bei seinen Studienanfängern Defizite unter anderem "auf der Ebene elementarer sprachlich-formaler Kenntnisse."

Cornelsen rudert mittlerweile zurück. Bei der Versendung der "... einfach klassisch"-Materialien an Gymnasiallehrer habe es sich, heißt es, um ein "Versehen" gehandelt, zumal "der Wunsch nach "vereinfachten Klassikern' vor allem von Haupt- und Realschullehrern" an den Verlag herangetragen worden sei. Dort stelle sich die Frage nach "Original oder Vereinfachung" gar nicht mehr. Stattdessen laute die Alternative an diesen Schulformen nur noch: "Vereinfachung oder gar keine Klassik". Durch "hunderte Briefe" von Real- und Hauptschullehren, die die Einführung der Reihe begrüßt hätten, fühlt man sich bei Cornelsen bestärkt. Für 2005 ist gar eine simplifizierte deutsche Übersetzung von Shakespeares "Romeo und Julia" geplant.

Doch nicht einmal handwerklich ist die Cornelsen-Reihe gut gemacht. Beim "Tell" wurde, wo angeblich nötig, der Blankvers geopfert, so dass Schiller passagenweise nur so daher geholpert kommt, und in allen fünf vorliegenden Texten sind viele der vorgenommenen "Ersetzungen" fragwürdig. In Kellers "Kleider machen Leute" beispielsweise wird das Fremdwort "Habitus" nicht durch seine deutsche Entsprechung "Gehabe" ersetzt, sondern durch das völlig unpassende "Kleidung".

Ein ausführliches Gutachten, das unter der Leitung Michael Mühlenhorts vom Deutschen Seminar der Universität Freiburg erstellt wurde und demnächst in den "Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes" erscheinen wird, kommt zu dem Schluss: "Die Fälle, in denen die Bearbeitung in den Cornelsen-Bänden willkürlich, unangemessen oder falsch ist, sind Legion." Kürzungen seien teilweise unangemessen, editorisch sei gelegentlich unsauber gearbeitet worden, zudem sei mancher Kommentar fehlerhaft. Die neuen Texte des Cornelsen-Verlages, schließt Mühlenhort, "bringen die Schüler um ... Erfahrungshorizonte." "Dass literarische Texte", erklärt Eckart Oehlenschläger, "den eingeübten Vorstellungen Widerstand entgegensetzen, gehört zu ihrem Erkenntnispotential." Das ist des Pudels Kern oder, wie es bei Cornelsen bald vielleicht heißt, die Hundemitte.

Artikel erschienen am 19. Feb 2004

posted by 알 수 없는 사용자
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