Auf der anderen Straßenseite hört man keine Lieder
Während die islamistische Literatur boomt, stellen immer mehr "säkulare" arabische Foren ihr Erscheinen ein
von Hassan Dawud
In einer Zeit, in der sich Zeitschriften, die sich einmal als elitäre Foren der arabischen Kultur verstanden, ihr Erscheinen einstellen oder zumindest um ihre Existenz ringen müssen, können Zeitschriften, die islamistischen Gruppen nahe stehen, ihre Auflage erhöhen. Etliche Publikationen, die von Islamisten in Bausch und Bogen als "säkular" abqualifiziert werden, finden keine Leser oder Geldgeber mehr.
Die Zeitschrift "Türen", die das Ziel hatte, arabische Intellektuelle mit aktuellen westlichen Kulturströmungen bekannt zu machen, hat ihr Erscheinen vor ungefähr zwei Jahren eingestellt. "Literatur", die der arabischen Literatur über ein halbes Jahrhundert eine Plattform gewesen ist, muß lautstark um Unterstützung bitten, um weiter erscheinen zu können. Das gleiche gilt für "Palästinensische Studien". "Arabische Studien" hat den Kampf bereits verloren. Auch "Das zeitgenössische arabische Denken" existiert nicht mehr.
All das geschieht in eine Zeit, in der ständig neue islamische Zeitschriften herausgegeben werden: "Das neue Freisein", "Zeitschrift für das medizinische Leben", "Der Weg", "Islamische Fragen der Gegenwart", um nur einige Beispiele zu nennen.
Diese neuen islamischen Periodika besetzen die Lücken, die der Tod von Zeitschriften gerissen hat, die sich mit dem Arabertum, dem Nationalismus und dem Sozialismus beschäftigten. Und anders als deren Leser, deren Zahl ständig abnimmt und niemals eine homogene Gruppe gebildet hat, kommen die neuen islamischen Zeitschriften mit einem klaren Selbstverständnis daher. Sie kennen ihre Zielgruppe genau und wissen, was von ihnen erwartet wird.
Leiden die säkularen Verlage (den Begriff "säkular" wenden die Islamisten auf alles an, was nicht islamisch ist) unter einer Krise, die am eingeschränkten Absatzmarkt und dem Rückgang der Auflagenhöhe sichtbar wird, blühen die islamischen Verlage geradezu auf. Das zeigt sich am Ausbau des konzeptionellen und funktionalen Verständnisses. Man druckt nicht mehr nur Bücher, sondern gibt Periodika heraus und arbeitet mit islamischen Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen zusammen. Im Libanon unterhält man zum Beispiel Kontakte zu den Institutionen und Stützpunkten der Hisbollah, die sich im Süden Beiruts befinden.
Bei diesem Aufschwung der islamischen Kultur fällt auf, daß sie sich völlig unabhängig von dem mehr als ein Jahrhundert alten Strom der arabischen Kultur entwickelt. Damit ist nicht gesagt, daß wir mit einem kulturellen Umsturz konfrontiert sind, etwa von der Art, wie ihn die arabischen Intellektuellen beim Wechsel vom Nationalismus zum Marxismus erlebten. Bei der aktuellen islamischen Kultur können wir etwas beobachten, das man als Profilierung eines neuen Typs von Intellektuellen beschreiben kann. Diese kehren allem den Rücken zu, was sie bis dahin unter Kultur verstanden haben. Das betrifft nicht nur die geistige Elite, sondern spielt sich auch in Schulen und Universitäten ab.
Und die säkularen Intellektuellen wiederum halten gegenüber der islamischen Kultur auf Distanz. Sie überlassen sie sich selbst und zeigen keinerlei Interesse, sich damit bekannt zu machen. Etliche kennen weder die Titel der neuen Zeitschriften, noch neu erschienene Bücher, noch die Verlage oder gar die Institute, die bisweilen diese verschiedenartigen Bereiche zusammenbringen.
Es ist ein Bruch zwischen zwei Kulturen, von denen keine die andere anerkennt und kennen lernen will. Keine der beiden Seiten sucht das Gespräch oder hat das Bedürfnis, sich mit der anderen Seite auseinanderzusetzen, denn man hält auf Distanz. Auch auf räumliche. In ein und derselben Stadt existiert die islamische Seite völlig getrennt von der anderen. Manchmal trennt sie nur eine Straße; was im linken Teil davon geschieht, ist völlig verschieden von dem, was im rechten Teil vor sich geht.
Um den zeitlichen Unterschied zu begreifen, muß man nur einen Blick auf die Straße werfen. Das betrifft in den islamisch geprägten Teilen nicht nur die Kleidung, die die Frauen zu tragen haben, oder die äußere Erscheinung der Männer, sondern es geht um das ganz alltägliche Leben, das Traditionen folgt, an die man sich im anderen Teil nicht mehr nicht nur hält, sondern froh ist, daß die Moderne es vermochte, deren bedrückende Last einzuschränken. Dort aber arbeiten Zeitschriften, Bücher, Institute und Institutionen darauf hin, alle Kultur auf die alte Zeit zu beziehen. Alles, was vom Westen und seiner Kultur beeinflußt ist, soll verdrängt, vergessen und getilgt werden.
Die Lyrik, die noch immer zur anderen, nicht islamischen Kultur gehört, hat lange von den Veränderungen, die die Ausdrucksformen in den westlichen Ländern erfahren haben, profitiert. Davon kann in islamischen Publikationen keine Rede sein, greifen sie doch, wenn es um Lyrik geht, auf eine Gedichtform zurück, die unter dem strikten Zwang zum Reim steht, eine Kunstform, die die arabische Kultur in den siebziger und achtziger Jahren nicht mehr für zeitgemäß hielt. Man lehnte es rigoros ab, solche Gedichte zu veröffentlichen, weil man sie einfach für zu alt und zu traditionalistisch hielt. Das kam damals für manchen Lyriker einem Todesstoß gleich. Jetzt hingegen feiern bei den Islamisten traditionelle Reime ihre Wiedergeburt.
Die räumliche Trennung, die nur durch eine Straße gegeben sein kann, geht mit der zeitlichen Trennung einher. Auf der anderen Straßenseite hört man keine Liebeslieder, sondern religiöse Gesänge und kämpferische Hymnen. Das Interesse fürs Singen, das das Fernsehen, vor allem die Sendung "Superstar" voranbrachte, wurde sowohl von der palästinensischen Hamas-Bewegung als auch von den islamistischen Gruppen mißbilligt, und zwar mit dem Argument, daß das Singen die Moslems die Tragödie im Irak und in Palästina vergessen lasse.
Statt sentimentaler Liebeslieder ertönt in den Hörfunk- und Fernsehprogrammen der Hisbollah religiöser Singsang, der den Hörer in die Zeit zurückversetzt, als die arabische Sprache noch ganz dem Koran verpflichtet war. Kämpferische Hymnen statt Lieder, Altes statt Neues in der Lyrik, und auch die Prosa muß ihren Tribut leisten. Sie soll die Vergangenheit gegenwärtig machen. Und so bemühen islamistische Autoren die Form des Romans, um ihr Gedankengut zu verbreiten. Oder Beten. Was die Titel der Zeitschriften, Bücher, Gedichte betrifft, müssen sie sich der alten religiösen Diktion bedienen. Ein Orchester nennt sich zum Beispiel "Mohammeds nächtliche Himmelsreise".
Die "säkularen" Intellektuellen halten diese Kultur für eine Randerscheinung. Umgekehrt sie die Islamisten die Säkularen im Abseits, da sie sich, wie sie sagen, von der historischen und zivilisatorischen Mission des Islam getrennt haben. Wahrscheinlich verwundert es die neuen Islamisten, daß die arabische Welt mit dem nicht abreißenden Strom der Moderne, der unsere Literatur und alle anderen Kunstgattungen verändert hat, so gut zurechtkommt.
Es sind zwei parallele isolierte Kulturen, denen jegliches Bedürfnis abgeht, miteinander zu reden. Beide fürchten, bei einer offenen Auseinandersetzung zu unterliegen. Daher wird die entscheidende Schlacht nicht auf dem Feld der Gedanken gefochten. Die islamistischen Gruppen wissen das, und deshalb wird wohl jeder arabische Teilnehmer der Frankfurter Buchmesse einzig und allein seine Kultur präsentieren.
Hassan Dawud, 1950 in Beirut geboren, leitet das Feuilleton der libanesischen Zeitung "Al-Mustaqbal". Im Lenos Verlag erschien zuletzt sein Roman "Tage zuviel". Übersetzung: Doris Kilias
Artikel erschienen am Mi, 6. Oktober 2004© WELT.de 1995 - 2004
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