your eyes/issue
궁극적으로는 예술만 남는다..
알 수 없는 사용자
2005. 2. 26. 14:13
Am Ende bleibt nur die Kunst
Nach dem Bruch der Wissower Klinken: Caspar David Friedrich hat die Kreidefelsen mehrfach gemalt
Rom hat Caspar David Friedrich niemals gesehen. Er hatte Angst, sich so heftig in die Stadt zu verlieben, daß er nie wieder abreisen könne. So fuhr er von Dresden aus in den Harz, ins Gebirge nach Böhmen, nach Mecklenburg, nach Rügen und in die Nordalpen. Da war die Gefahr der unendlichen Liebe nicht so groß. Auch seine Hochzeitsreise führte ihn und seine Frau Caroline Bommer 1818 über Greifswald, Wolgast und Stralsund nach Rügen, wo er auf langen Spaziergängen wieder an den Wissower Klinken vorbeikam, die in dieser Woche ein Opfer der Erosion wurden und abstürzten. Nach der Hochzeitsreise malte Friedrich sein berühmtes Bild "Kreidefelsen auf Rügen" (1818/19), das heute im Museum Oskar Reinhart in Winterthur hängt.
Wenn Caspar David Friedrich Fotorealist oder wenigstens nicht einer romantischen Subjektivität verfallen gewesen wäre, könnte man sein Gemälde als Erinnerungsbild an die Kreidefelsen betrachten, die nun für immer verloren sind.
Doch auch dieses Bild ist, wie alle großen Landschaftsbilder Friedrichs, eine Montage. Die Ansicht des Gemäldes existiert in Wirklichkeit nicht. Die zerbrechlichen, wie Finger aufragenden Spitzen hat Friedrich nie gesehen. "Über den genauen Standort und Blick des Malers gehen die Meinungen auseinander", sagt Helmut Börsch-Supan, einer der besten Friedrich-Kenner und Forscher. "Klar ist nur, die jetzt eingestürzten Felsen sind auf dem Bild in Winterthur nicht dargestellt." Jedenfalls nicht im Sinne fotorealistischer Wiedergabe.
Wahrscheinlich war es wie bei vielen Friedrich-Bildern: Er hat eigene Zeichnungen mit Ansichten von Kollegen vermischt. Die Natur dient der Bildaussage, die allerdings bis jetzt noch nicht erschöpfend geklärt ist. Momentan neigt man zur Interpretation des Bildes als Hochzeitsbild, bilden doch Bäume und Gras ein Herz, das die Szene rahmt. Die Frau im roten Kleid wäre demnach Caroline, und Friedrich selbst ist als junger Träumer und alter Mann dargestellt, als der er sich bei seiner Hochzeit mit 45 Jahren durchaus empfand.
Das Leipziger Aquarell mit dem gleichen Titel hält Börsch-Supan dagegen für eine ziemlich exakte Ansicht der jetzt eingestürzten Wissower Klinken, denn "Aquarelle sind für Friedrich colorierte Naturstudien", auch wenn Manfred Kutscher, Leiter des Nationalparkamtes Rügen, glaubt,
daß Caspar David Friedrich die typischen Klinken-Zacken nicht gesehen haben kann, weil sie Anfang des 19. Jahrhunderts noch nicht existierten. Seiner Meinung nach malte Friedrich in der benachbarten Victoria-Sicht. Der Streit wird sich nun nicht mehr schlichten lassen. Die Natur ist vergangen, die Kunst besteht weiter.
Das Aquarell, im Leipziger Museum der Bildenden Künste aufbewahrt, entstand 1825/26. Wahrscheinlich ist das Blatt Teil eines nie vollendeten Ansichtenwerks von der Insel Rügen, das der Stralsunder Pfarrer Adolf Friedrich Furchau herausgeben wollte und zu dem 37 Aquarelle und Zeichnungen von Friedrich gehören. Außerdem besitzt Leipzig eine Ansicht, die Friedrich selbst "Wissower Klinken" genannt hat, die aber aus einer anderen Perspektive und bereits 1802 auf einer früheren Rügenreise des Malers entstand und eine der Vorlagen für sein Ölbild gewesen sein könnte.
Es ist wie immer bei Friedrich: Das wissenschaftliche Interesse an der Natur tritt zurück, wenn die Kunst beginnt. Alle seine großen Gemälde sind Imaginationen. Die Fantasie konstruiert die Landschaft, die zuvor mit naturwissenschaftlichem Verständnis skizziert wurde. "Der Maler soll nicht bloß malen, was er sieht, sondern malen, was er in sich sieht"(화가는 보는 것만을 그리는 것이 아니라, 내면에서 보는 것을 그려야한다), schrieb Friedrich. Dazu nutzt er gern auch Blätter seiner Kollegen. So entstand der "Watzmann", den Friedrich nie selbst gesehen hat, nach einer Aquarellstudie seines Schülers August Heinrich und eigenen Skizzen von Felsen in Harz und Riesengebirge.
Caspar David Friedrich, der traurigste, schwermütigste, kindlichste deutsche Künstler, starb vergessen in Not und Elend. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurde er wieder entdeckt und gilt seitdem als Inbegriff des romantischen Künstlers. So wie Friedrich die Natur verinnerlichte, sehen wir sie heute noch gern: wahlweise bedrohlich, sentimental verklärt, als Ausdruck unseres lyrischen Verhältnisses zu ihr. Wohl auch deshalb rührt uns der Verlust der "Wissower Klinken", die die meisten nur von Caspar David Friedrich kennen.
Artikel erschienen am Sa, 26. Februar 2005: © WELT.de