Schulmädchen auf dem Altar
Eine paradoxe Legende aus dem neuen Filmwunderland Korea: "Samaria" von Kim Ki-Duk ist ein katholisches Melodram ohne Moral
von Matthias Heine
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Yeo-Jin (Kwak Ji-Min) und Jae-Young (Seo Min-Jung) verkleiden sich gern Foto: dpa | |
Man kann den gegen Kim Ki-Duk auf der diesjährigen Berlinale gelegentlich erhobenen Vorwurf, er romantisiere mit "Samaria" die Prostitution, getrost abtun: Wir haben in den letzten Jahrzehnten soviel über Ausbeutung und Schmerz im realen Gunstgewerbe erfahren, daß wir nun reif sind, mal wieder hingebungsvolle Huren wie in Goethes "Der Gott und die Bajadere" zu sehen - ohne Fiktion und Wirklichkeit zu verwechseln.
So eine Bajadere ist Jae-Young (Seo Min-Jung), die im Team mit ihrer Freundin Yeo-Jin (Kwak Ji-Min) Schulmädchensex verkauft. Die eine identifiziert sich selig lächelnd mit der indischen Tempelhure Vasumitra, deren glückspendender Körper angeblich viele Männer zum Buddhismus bekehrt haben soll, die andere managt ihre Freundin und hält sich zunächst selbst von Freiern fern. Der Ekel und das Unverständnis über Jae-Youngs Nuttenglück haben auch damit zu tun, daß Yeo-Jin ebenso unschuldig wie leidenschaftlich in die Freundin verliebt ist.
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Der ehemalige Priesterseminarist Kim hat seinen Film als dreiflügeligen Klappaltar konzipiert, der wie diese Erbauungsmöbel traditioneller katholischer Kirchen eine Legende erzählt: Der erste Teil "Vasumitra" endet mit Jae-Youngs Tod. Sie springt aus dem Fenster, als sie in einem Stundenhotel von einer Razzia überrascht wird.
Im Mittelteil "Samaria" macht sich Yeo-Jin auf, um die ehemaligen Freier ihrer Freundin kostenlos zu befriedigen. So will sie Buße tun für den Tod der Freundin, an dem sie sich schuldig fühlt. Als Yeo-Jins Vater (Lee Uhl), ein Polizist, das merkt, nimmt er brutal Rache an den Männern. Im dritten Teil "Sonata" reisen die beiden in die Berge zum Grab der Mutter, wo er wegen Mordes verhaftet wird.
Im Gegensatz zu den christlichen Altären und zu den kleinen Geschichten über Wunder und Heilige, die Jeo-Jins Vater ihr jeden Morgen auf dem Weg zur Schule erzählt, propagiert dieses Melodram keine Werte: "Ich pfeife auf die Moral", sagt einer der glücklichen Freier. Gerade, als man glaubt, dies sei vielleicht eine Botschaft, bricht der Vater zu seinem Rachefeldzug gegen die Dienstleistungsnehmer auf. Seinen leichengepflasterten Weg verfolgt der Regisseur mit Sympathie.
Am ehesten will der Film wohl von der Unmöglichkeit eines festen Standpunkts in einer heillosen Welt erzählen. Sobald der Betrachter beginnt, sich mit der lakonischen "Ein Mann sieht rot"-Pose des väterlichen Helden zu identifizieren, verschiebt Kim wieder die Perspektive: Zwar sind die Freier widerlich, doch empfindet man Mitleid, als der Rächer einen von ihnen vor den Ohren seiner Familie beschimpft und schlägt, worauf dieser Selbstmord begeht. Von dem Mann, der zehn Minuten zuvor noch selbstbewußt von der Arbeit nach Hause kam, bleiben nur eine zerschmetterte Armbanduhr und ein Blutnetz, das sich malerisch langsam in den Rinnen zwischen den Pflastersteinen ausbreitet.
Mit der Gewalt, die ihn international berüchtigt gemacht hat, geht Kim diesmal genauso sparsam um wie mit den ästhetischen Bildkompositionen, die ihn zum derzeitigen Götterliebling der internationalen Cineastengemeinde beförderten. Die ersten zwei Drittel des Films sind so grau wie die Motels in den Neubauvierteln von Seoul. Die schönste Szene ist auch die grausamste: Der Vater begräbt seine erwürgte Tochter mit eigenen Händen im Kies und setzt der Toten den Kopfhörer ihres Discmans auf. So weckte er sie in glücklichen Zeiten morgens vor der Schule. Es ist seine Art, ihr ohne Worte von seiner Liebe zu erzählen.
Doch selbst diese nekrophile Erinnerungs-Idylle ist nur ein Traum. Erst zum Schluß, wenn der Vater seiner Tochter am Rande eines Teichs zwischen gelb bemalten Steinen Fahrunterricht gibt, wird "Samaria" fast meditativ-graphisch. Doch solche Momente sind vergänglich: Der Vater stellt sich der Polizei, und die Tochter versucht vergeblich, ihm ganz allein im Auto zu folgen. Sie findet keinen Boden unter den Füßen - wie alle Figuren des Films.
Artikel erschienen am Do, 9. Dezember 2004
http://www.welt.de/data/2004/12/09/371920.html?prx=1